Liebe Leser:innen,
es gibt netzpolitische Themen, die klingen so trocken, dass sie selbst die Ostsee in ein salzige Pfütze verwandeln könnten, würde man sie hineinwerfen. Eins davon ist Verwaltungsdigitalisierung. Betrifft uns alle, ist richtig wichtig, hakt gewaltig – und trotzdem löst das Thema bei Menschen selten auch nur irgendwelche Gefühle aus. Deshalb habe ich mich diese Woche besonders über Bianca Kastls Kolumne gefreut.
Sie hat mich zum Lachen gebracht, vor allem der Prolog. Er erzählt das fiktive Gespräch einer Gruppentherapie mit Verantwortlichen der deutschen Verwaltungsdigitalisierung. Die Gruppenleitung bittet die Teilnehmenden um die Projektion ihrer Vorstellungen, dabei sollen sie aber auch die Bedürfnisse der anderen berücksichtigen. Wer öfter Texte von Bianca liest oder das Vergnügen hatte, sie mal persönlich zu treffen, lernt diesen angenehm spitzen Humor schnell zu schätzen.
Für die Themen, die wir so bearbeiten, wäre es ohne Humor auch um einiges schwerer auszuhalten. Ein Kollege sagte mal: „netzpolitik.org ist die bestgelaunte Bad-News-Agency, die es gibt.“ Und da ist was dran.
Wenn man die Texte dieser Woche durchgeht, könne man den Eindruck bekommen, bei netzpolitik.org ist immer Aschermittwoch: Es gibt neue Opfer von Spionagesoftware, neue rechtswidrige Cookiebanner, neue Zahlen zu Hass im Netz.
Wie viel wir bei der Arbeit lachen, feixen und scherzen, bekommt ihr anhand unserer Veröffentlichungen kaum mit. Außer vielleicht wenn wir uns in selbstgebastelte Bullshit-Busters-Kostüme werfen, wenn wir Kekse mit Keksen vergleichen oder wenn wieder giftiges Download-Wasser den Rhein hinunter läuft.
Der Spruch „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ stammt vielleicht nicht zufällig von einem Journalisten, denn die Realität ist oft die beste Satire. Und ich bin froh, in einem Team zu arbeiten, das dafür einen ganz besonderen Sinn hat, und mir trotz all der schlechten Nachrichten doch immer wieder die Lachtränen in die Augen treibt. Sei es mit den lustigsten Austriazismen, trockenen Einzeilern oder mit versehentlich verunglückten Sprachbildern, die einem beim Schreiben eben passieren. Immerhin wollen wir weder den Wald vor lauter Teufeln übersehen, noch den Baum an die Wand malen – denn der Nagel steckt bekanntlich im Detail.
Ein heiteres Wochenende wünscht euch
anna
Heute starb Alexei Nawalny in einem russischen Straflager. Er war ein Blogger.
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexei_Anatoljewitsch_Nawalny
Und morgen (20.02.) ruft Reporter-ohne-Grenzen um 10 Uhr vor die Botschaft der USA,
um kurz, bevor es zu spät sein wird, wieder um das Loslassen von Julian Assange zu bitten.
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https://www.reporter-ohne-grenzen.de/presse/termine/termin/aktion-vor-der-us-botschaft-anklage-gegen-assange-fallenlassen-auslieferung-stoppen
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Dieses Loslassen von Assange,
und endlich den versprochenenen Whistleblowerschutz der EU für Edward Snowden in Berlin ( – Grüße an meine Regierung! ) , brauchten wir dringend.
Ich möchte nicht in einer Reihe sein mit den Demokratie-Zerstörern, die Nawalny (Anna Politkowskaja, Boris Nemzow, …) auf dem Gewissen haben, oder mit den anderen, die Joshua Wong seine Freiheit genommen haben, oder mit denen, die Can Dündar in’s Exil zwangen ( obwohl ich natürlich glücklich bin, dass Can Dündar hier bei uns in Berlin ist! Eben da, wo ich Snowden auch gern hätte …).
> Ich möchte nicht in einer Reihe sein …
Schon der Gedanke, sich in einer Reihe von Autokraten zu wähnen, grenzt an Caesarismus, selbst wenn es eine Verneinung ist.
Im Übrigen unterscheide zwischen Dingen, die ganz in deiner Macht stehen, weil sie mit eigener Betätigung oder Unterlassung verbunden sind, und Dingen, die nicht der eigenen Kontrolle bzw. Verfügung unterliegen.
(1) Larifarialarm bei tagesschau.de „Als die russischen Besatzer kamen, standen viele Ukrainer vor der Wahl: Gehen – oder bleiben und sich mit den Russen arrangieren. Viele verließen ihr Zuhause, aber manche machten gemeinsame Sache mit den Angreifern. Von Rebecca Barth.“
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-kollaborateure-100.html
Man muss ja nicht immer alles aufzählen, was es gibt, und alle Zahlenverhältnisse korrekt im Kopf haben. Die Basics wären nett. So gibt es mehr Menschen, die einfach am Heimatort geblieben sind. Dann noch die Frage, ob man dann noch fliehen kann, oder nicht. Die Überschrift ist unwürdiges Framing.
(2) NDR Info: Interview über Szenarien des Zerfalls der Ampel, und wie angeblich Menschen das sehen könnten. Dabei könnte man die FDP als die Aufrichtigen wahrnehmen, wenn Scholz sie zu Gunsten einer Minderheitenregierung rauswerfe.
Also ist der einzige relevante Parameter für eine Wahl, was ich mir herbeihalluzinieren kann, Sachen die man sich so vorstellen kann? Muss man nicht etwa ergründen, warum die FDP was blockiert? Muss ich als Beobachter den weltrettenden Kuhhandel annehmen, oder nehme ich die Texte und das Abstimmverhalten her? Wieviel Aufrichtigkeit ist denn dabei?